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"Niederlassung ist kein Selbstzweck"

Diese Aussage trifft der Stuttgarter Zahnarzt Dr. Tobias Feise und führt an, warum er es dennoch nicht bereut, eine Praxis übernommen und sich als Oralchirurg selbstständig gemacht zu haben. Seinen Werdegang und die Herausforderungen bei der Niederlassung beschreibt er im Interview mit Dents.de.

 

 

Wie bist du zur Zahnmedizin gekommen? Lag dein Weg immer schon klar vor dir oder hattest du ursprünglich andere Ziele?
Auf die generelle Richtung meiner beruflichen Zukunft hatte ich mich schon früh festgelegt, lediglich die Entscheidung zwischen Humanmedizin, Zahnmedizin oder Biologie habe ich mir bis zum Studium offen gelassen. Um mir meines zukünftigen Weges sicher zu werden, habe ich meinen Zivildienst im Zentral-OP eines großen Stuttgarter Krankenhauses abgeleistet. Während dieser Monate habe ich festgestellt, dass mir das Operieren - bzw. zur damaligen Zeit das Begleiten einer OP - durchaus liegt, ich aber nicht dauerhaft in der Mitte einer Hierarchie stehen wollte, wie es dort der Fall gewesen wäre. Selbstbestimmtes Arbeiten war seit jeher ein wesentliches Element meiner beruflichen Vorstellungen gewesen, eine Bedingung, die in der Zahnmedizin wesentlich einfacher umzusetzen ist. Als Chirurg der Humanmedizin mit eigener Praxis ist die Wahrscheinlichkeit, ausschließlich Platzwunden zu operieren größer als die Aussicht auf ambitionierte Chirurgie. In der Zahnmedizin dagegen besteht die Möglichkeit, in der Praxis vollumfänglich zu operieren. Damit war die Entscheidung für die Zahnmedizin und gegen die Humanmedizin gefallen. Die dritte Option, Biologie, wäre nur in Frage gekommen, wenn die Möglichkeit bestanden hätten, einen Platz auf einem Forschungsschiff zu bekommen. Dafür aber waren die Chancen zu gering, um darauf eine berufliche Planung aufzubauen.

Konntest du damals einen Platz an deiner Wunschuni bekommen?
Ich habe in Heidelberg studiert und diese Uni war auch meine erste Wahl gewesen. Ich hatte den Test für medizinische Studiengänge absolviert, dessen Ergebnis in die Quote für das Auswahlverfahren mit einfloss, so konnte ich letztendlich an meiner Wunschuni studieren und dort auch mein Examen machen. Ursprünglich wollte ich auch meine Assistenzzeit und den Facharzt für Oralchirurgie an der Uni absolvieren. Noch aus dem Studium herau habe ich mich bei vielen Stellen beworben, als das aber nicht rechtzeitig geklappt hatte, habe ich zunächst in Mannheim ein Dreivierteljahr als Assistent gearbeitet und später für sechs Monate in Hockenheim. Dort habe ich mich sehr wohlgefühlt, als dann aber die Zusage für eine oralchirurgische Weiterbildungsstelle in Bad Homburg kam, bin ich dorthin gewechselt.

Brauchtest du für die Weiterbildung auch ein Klinikjahr?
Ein Klinikjahr ist die Regel, in diesem Fall hatte ich aber die Möglichkeit, alle drei Jahre in der Praxis zu machen. Das war auch ausschlaggebend für meine Entscheidung. Ich hatte mich nur auf solche Stellen beworben, von denen gab es recht wenige und die meist nur in sehr großen Praxen oder Kliniken, Unikliniken oder großen städtischen Krankenhäusern. Da ist die Auswahl relativ eingeschränkt und letztendlich war das der Grund, warum es mich aus dem Heidelberger Raum nach Frankfurt verschlagen hat.

Haben dir rückblickend die drei Jahre Ausbildung zum Oralchirurgen einen echten fachlichen Wissensvorteil auf dem Sektor der Chirurgie gebracht oder hättest du ein ähnliches Level auch ohne die Weiterbildung erreichen können?
Der Vorteil der Weiterbildung und auch der Vorteil dieser Praxis lag darin, dass ich viel operiert habe und in meinem Chef jemanden hatte, der dies gut beherrschte und auch vermitteln konnte. Wir haben viel ausprobiert, viel Neues gemacht, von Implantologie und Knochenaufbau über Mikrochirurgie bis zur Weichgewebschirurgie. All dies sind Fertigkeiten, die man erst einmal erproben muss und für die man extrem viel Übung braucht, um sie später anbieten und routiniert operieren zu können. Das geht nur, wenn man alles sehr gut erklärt bekommt und sich durch häufiges Operieren die nötige Erfahrung aneignen kann. Hat man die nicht, wird man später in der eigenen Praxis weitaus vorsichtiger agieren, denn dort fehlt das Backup. Passiert dann etwas Unvorhergesehenes, gibt es niemanden mehr, der einem hilft, und das kann unter Umständen für große Probleme sorgen. Was man in der Ausbildung nicht gelernt hat, wird man in der eigenen Praxis nicht neu erfinden, denn das wäre zu riskant, auch weil das fachliche Selbstvertrauen fehlt. Natürlich kann man auch dann noch neue Techniken lernen, doch ohne die entsprechende chirurgische Versiertheit, ohne das Basiswerkzeug wird man sich eher auf vertrautes Gebiet beschränken.

Wie ging es nach deiner Facharztausbildung zum Oralchirurgen weiter für dich?
Nachdem ich 2009 den Fachzahnarzt abgeschlossen hatte, bin ich noch einige Zeit in der Praxis geblieben. Dann habe ich zusätzlich in einer anderen Praxis, ebenfalls im Frankfurter Großraum, die Sektion Oralchirurgie in einer Mehrbehandlerpraxis übernommen und geleitet, habe also praktisch in zwei Praxen parallel gearbeitet. Zweimal wöchentlich habe ich in der Mehrbehandlerpraxis Implantate gesetzt, Knochenaufbau vorgenommen und operiert. In der Praxis, in der ich meine oralchirurgische Weiterbildung gemacht hatte, habe ich die Leitung eines Zweitstandortes übernommen, hatte meine eigenen Patienten und habe neben den Operationen auch Behandlungen der gesamten zahnmedizinischen Bandbreite von Füllungen bis zur Prothetik durchgeführt.

Noch während dieser Zeit ging ich für ein Vierteljahr in die Schweiz und habe an der Uni Bern bei zwei sehr renommierten Professoren hospitiert, um mein chirurgisches Wissen zu vertiefen und mich noch ein Stück weiter zu spezialisieren. Zuvor hatte ich überlegt, in die USA zu gehen, doch eine Mindestaufenthaltsdauer von drei Jahren direkt nach der Fachzahnarztweiterbildung kam für mich nicht in Frage. Auch wäre dieser Aufenthalt sehr kostspielig gewesen. Man zahlt seine Ausbildung dort selber und kommt so schnell auf mehrere hunderttausend Euro. Daher fiel die Entscheidung für die Schweiz und kurz nach meiner Rückkehr habe ich mich 2011 niedergelassen.

War die Niederlassung immer schon dein Ziel oder gab es eine Art Schlüsselmoment, der dich erkennen ließ, dass der richtige Zeitpunkt gekommen war?
Nach der oralchirurgischen Weiterbildung habe ich überlegt, ob ich in eine Praxis einsteige oder mich niederlasse. Eine Neugründung kam grundsätzlich nicht für mich in Frage, mir war der Gedanke sympathischer, eine bestehende Klientel zu übernehmen. Über einen längeren Zeitraum hinweg habe ich mir immer wieder Standorte oder Praxen angeschaut. Irgendwann fiel meine Entscheidung auf die Übernahme der Stuttgarter Praxis. Auch die war nicht der sprichwörtliche Glückstreffer, bei dem man einfach zugreifen musste, sondern zum Teil eine Bauchentscheidung aus dem Gefühl heraus, dass einige Faktoren gut passten, andere weniger. Letztendlich überwogen die Pro-Argumente, so dass ich den Schritt gegangen bin und die Praxis übernommen habe.

Was wäre rückblickend dein Rat, worauf man am meisten achten sollte bei einer Praxisübernahme?
Zunächst ist es wichtig zu überlegen, ob man eine Übernahme anvisiert oder eine Neugründung. Das ist nicht zuletzt auch eine Typfrage. Zahnärzte mit sehr genauen Vorstellungen von den Gegebenheiten, auf die sie nicht verzichten können oder wollen, werden fast immer mit einer Praxisneugründung besser fahren, denn "die" idealen Bedingungen wird es kaum je geben. Ist eine Übernahme der Plan, ist ein gut funktionierender Standort einer der Haupt-Entscheidungsfaktoren. Ebenso spielt das Klientel eine wichtige Rolle, zum einen im Hinblick darauf, wie die Patienten die Praxis bisher annahmen und unter neuer Führung voraussichtlich annehmen werden, zum anderen aber auch darauf, ob der bestehende Patientenstamm zu einem selbst und dem Praxiskonzept passt. Natürlich sollte man die Zahlen sorgfältig prüfen und bestehendes Potential ausloten. Eine Praxis, die in bereits an ihre Grenzen gestoßen ist und kaum noch Entwicklungsspielraum bietet, ist in der Regel kein lohnendes Investitionsobjekt. Auch gilt es zu überlegen, ob man den bisherigen Praxisinhaber noch für eine Übergangsphase in Anstellung mitarbeiten lassen möchte oder ob ein klarer Schnitt gewünscht oder sogar unvermeidlich ist. Dieser Sprung ins kalte Wasser muss kein Hinderungsgrund sein. Der Inhaber meiner Praxis war bereits seit zwei Monaten verstorben, als ich die Praxis übernahm.

Was hat dir vor der Niederlassung die meisten Sorgen bereitet?
In erster Linie war es das viele Geld, das ich aufgenommen hatte. Daneben natürlich auch, dass die übernommenen Patienten auch weiterhin in die Praxis kommen und dass der Patientenstamm wächst. Auch darüber, ob mein geplantes Konzept aufgeht und ob ich mit den übernommenen Mitarbeitern ein gutes Team bilden kann, habe ich mir viele Gedanken gemacht. Finanzielle Sorgen und Existenzsorgen gehen in dieser Phase Hand in Hand. Auch war da die Scheu vor den großen Zahlen, mit denen man plötzlich umgehen musste, nachdem man bislang nur im Bereich von Assistentengehältern tätig war. Alles wird eine Dimension größer, Zahlen zwei Nullen länger und so schreckt man vor mancher Ausgabe zurück, obwohl sie vielleicht wichtig ist, zum Beispiel beim Marketing. Hier sparen viele Praxisgründer und -übernehmer oft am falschen Ende.

Waren deine Sorgen im Nachhinein begründet?
Rückblickend ist es immer einfacher Dinge zu beurteilen, als es damals tatsächlich war. Wenn etwas gut gelaufen ist, hat der Plan eben funktioniert und es war daher gar nicht nötig, sich Sorgen zu machen. In dem Moment jedoch ist es hart. Etwa, wenn man feststellt, dass die Klientel nicht den eigenen Vorstellungen entspricht. Dann einen Shift, also einen gezielten Wechsel der Klientel vorzunehmen, beispielsweise mehr Privatleistungen zu generieren oder eine höhere Zuzahlungsmentalität anzustreben, ist nicht einfach. Hier rennt man nicht immer offene Türen ein, es müssen Widerstände überwunden werden und das kann sehr anstrengend sein. Diesen Kampf über eine längere Zeit tagtäglich auszufechten, mit Patienten zu diskutieren, sie unter Umständen auch gehen zu lassen, ist schwierig. Im Endeffekt, wenn der Shift tatsächlich erfolgreich vollzogen wurde, ist allerdings eine höhere Zufriedenheit auf beiden Seiten der Lohn und auch Bestätigung, dass man richtig gehandelt hat. Davor stehen aber viele Tage, an denen man abends nach Hause geht mit dem Gefühl, dass diese Praxis ein Fehlgriff war. Solche Tage werden für jeden Praxisübernehmer kommen, das ist ganz normal. Und auch wenn diese erste anstrengende Zeit nach der Niederlassung überwunden ist, bleiben gelegentliche Zweifel oder besonders fordernde Phasen nicht aus. Die gibt es auch für mich heute noch immer wieder.

Nachdem du eine Zeitlang niedergelassen warst, bist du in neue Räumlichkeiten umgezogen. Wie kam es zu der Entscheidung und wie bist du dabei vorgegangen?
In den alten Räumlichkeiten gab es nur drei Behandlungszimmer. Nachdem ich eine Kollegin angestellt hatte und zeitweilig sogar zwei angestellte Zahnärzte in der Praxis arbeiteten, stießen wir mit dem vorhandenen räumlichen Gegebenheiten immer mehr an unsere Grenzen. Noch dazu haben wir unser Prophylaxeteam kontinuierlich ausgebaut.

Als es klar war, dass die Größe der Praxis nicht mehr ausreichte, sind wir auf die Suche gegangen und haben ganz in der Nähe, keine dreihundert Meter entfernt, neue Räumlichkeiten gefunden, die nach dem Auszug einer Versicherung gerade frei geworden waren. Diese lagen im 5. Stock, quasi über den Dächern der anderen Gebäude. Der Ausblick hatte einen gewissen Charme, und so fiel schnell die Entscheidung, diese Räumlichkeiten zu mieten und umzubauen.

Eine Entscheidung, die du bis heute nicht bereut hast?
Absolut nicht. Der Vorteil ist, wir haben jetzt viel mehr Räume, davon allein sieben Behandlungszimmer. Perspektivisch ist die Praxis als Mehrbehandlerpraxis mit einer großen Prophylaxeabteilung geplant. Das ist nur möglich, wenn ausreichend Fläche zur Verfügung steht, um mindestens drei zahnärztliche Kollegen unterzubringen, und dazu die vier Prophylaxehelferinnen der Prophayxeabteilung. Dafür braucht es eine gewisse Größe.

Gibt es etwas, das du einem jungen Kollegen gerne mit auf den Weg geben würdest?
Man muss sich im Prinzip gut kennen und sich frühzeitig die Frage beantworten, ob einem persönlich die Selbstständigkeit oder ein Angestelltendasein mehr entspicht oder auch die Partnerschaft in einer Mehrbehandlerpraxis. Niederlassung ist kein Selbstzweck, auch das Angestelltendasein als Zahnarzt kann durchaus spannend sein, und das gilt für Männer wie für Frauen. Hat man seine Marschroute festgelegt, sollte man klein beginnen mit genügend Kapazität für ein organisches Wachstum. So kann man entweder in kleinen Räumlichkeiten starten und plant dabei den späteren Umzug in eine größere Praxis sofort mit ein. Andererseits kann man auch direkt eine große Praxis anmieten, baut hier aber zunächst nur zwei oder drei Zimmer aus, um später das Wachstum kontinuierlich fortzusetzen. Die erste Variante, wie wir sie auch selbst erlebt haben, halte ich für angenehmer, da hier die Kosten anfangs klein gehalten sind.
Das ist wichtig, denn den anfänglichen finanziellen Druck sollte man nicht unterschätzen. Nichts ist anstrengender und stressiger, als wenn die Kosten des Personals, des Kredits oder der Miete die Beträge übersteigen, die man hereinwirtschaften kann. Umso schöner ist es dann, wenn man relativ schnell Licht am Ende des Tunnels sieht, die Ausgaben überschaubar werden und man die erste schwarze Zahl erwirtschaftet. Das verschafft große Entspannung und wohltuenden Freiraum. Passiert das nicht, findet man sich schnell in einem Hamsterrad, aus dem man auch kaum wieder herauskommt. Das ist es, was mir vor allen Dingen wichtig war und was ich auch heute noch für wesentlich halte.