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Die Hälfte aller Klein­kinder ist noch unvoll­ständig geimpft

Bild: Pixabay / Angelo Esslinger

Rund die Hälfte der im Jahr 2016 geborenen Kinder hat bis zum zweiten Geburtstag nicht alle empfohlenen Impfungen vollständig erhalten. Das zeigt eine aktuelle Auswertung der Techniker Krankenkasse (TK). Vollständig gegen Masern, Keuchhusten, Windpocken und Co. geimpft - also inklusive aller Teilimpfungen - sind knapp 47 Prozent. 3,6 Prozent der Kleinkinder haben gar keine von der Ständigen Impfkommission (STIKO) empfohlene Impfung bekommen.

Gegen Masern sind elf Prozent der überprüften Kinderkohorte unvollständig geimpft, sieben Prozent gar nicht. "Wenn Kinder nicht alle notwendigen Teilimpfungen erhalten, sind sie nicht sicher immunisiert. Entscheidend ist, dass die Kinder schnell alle Impfungen erhalten, um geschützt zu sein. Die Voraussetzungen dafür sind gegeben, weil die Eltern ihre Kinder generell impfen lassen und folglich nicht zur Gruppe der Impfgegner gehören", sagt Dr. Jens Baas, Vorstandsvorsitzender der TK. Teilimpfungen können meist problemlos nachgeholt werden, ohne dass die Impfserie von vorn begonnen werden muss. 

Kleinkinder regional unterschiedlich geimpft

Die Analyse der Impfdaten der im Jahr 2016 geborenen Kinder zeigt starke regionale Unterschiede. Während die Anteile der nicht vollständig Geimpften in Hessen bei 69 Prozent und in Sachsen bei 62 Prozent liegen, fallen in Sachsen-Anhalt und Brandenburg 39 Prozent der Kinder in diese Gruppe, in Mecklenburg-Vorpommern 37 Prozent. 

Erinnerungen durch Krankenkassen ermöglichen

Die Psychologin Prof. Dr. Cornelia Betsch von der Universität Erfurt forscht zu Impfentscheidungen und sagt: "Die meisten Menschen sind impfbereit - aber Impfen ist oft nicht einfach genug. Es gibt viele praktische Hürden. Erwachsenen ist außerdem oft auch gar nicht bekannt, dass oder wann sie sich impfen lassen sollten. Darauf sollte gezielt mit Maßnahmen reagiert werden." Und TK-Chef Baas ergänzt: "Die Daten zeigen, dass es Verbesserungsbedarf gibt. Es gilt, Eltern noch stärker für das Thema zu sensibilisieren. Hier könnten wir Kassen noch deutlich besser unterstützen, wenn wir aktiv und gezielt auf vergessene Impfungen hinweisen dürften - am besten auf digitalem Wege." 

Impfpflicht als Ultima Ratio

Vor dem Hintergrund zu niedriger Quoten wird seit einiger Zeit eine Impfpflicht diskutiert; die Masern-Impfpflicht soll zum 1. März 2020 kommen. "Eine Pflicht sollte das letzte Mittel der Wahl sein", sagt Professor Dr. Gerd Glaeske von der Universität Bremen. "Wir brauchen mehr Aufklärung, um zu erreichen, dass Kinder wie Erwachsene vollständig geimpft sind. Dabei sollte allen klar sein, dass es um die Gesundheit der Gemeinschaft geht." Und Cornelia Betsch ergänzt: "Insbesondere ist vor der Einführung einer teilweisen Impfplicht zu warnen. Andere freiwillige Impfungen können so weniger wichtig erscheinen oder von impfkritischen Personen häufiger weggelassen werden."

Die Impfquoten wurden im Rahmen des Innovationsreports 2019 erhoben, den die TK heute in Berlin vorstellt. Erstmals wurde in dem Report auch ein Impfstoff bewertet - vor diesem Hintergrund haben die Autoren dem aktuell viel diskutierten Thema Impfen das Sonderkapitel gewidmet. Der Report bewertet 23 neu auf den Markt gekommene Arzneimittel des Jahres 2016 nach einem bewährten Ampelschema. Für die Bewertung entscheidend sind die Punkte, ob eine bestehende Therapie verbessert wird, ob es einen Zusatznutzen gibt und ob die Kosten angemessen sind. 

Neue Arzneimittel bewertet: 14 rote Ampeln vergeben

Das Ergebnis: Die positive Entwicklung des vergangenen Jahres konnte sich nicht ganz fortsetzen. 14 Präparate und damit mehr als 60 Prozent bekamen von den Wissenschaftlern der Universität Bremen eine rote Gesamtampel, 2018 lag der Anteil bei 31 Prozent. Besonders auffällig: Von sechs Arzneimitteln zur Behandlung seltener Krankheiten bekamen fünf eine rote Gesamtampel und nur eins eine grüne. "Das zeigt deutlich, dass Arzneimittel zur Behandlung von seltenen Erkrankungen das gesamte Verfahren der Nutzenbewertung des AMNOG durchlaufen müssen und nicht per se ein Zusatznutzen unterstellt werden sollte - zum Schutz der Patienten", sagt Glaeske, Mitherausgeber des Reports. 

Medikamente mit deutlichem Zusatznutzen

Positiv ist, dass fünf Wirkstoffe eine grüne Gesamtampel bekommen haben, darunter auch der HPV‐Impfstoff. In Bezug auf das Einzelkriterium des nachgewiesenen Zusatznutzens vergaben die Wissenschaftler vier grüne und acht gelbe Ampeln - insgesamt hat also mehr als die Hälfte der Arzneimittel für viele Patienten einen Zusatznutzen. Echte therapeutische Innovationen finden sich insbesondere zur Behandlung des Multiplen Myeloms (Knochen-/Knochenmarktumor) und einer chronischen Herzinsuffizienz.

Wirksamkeit früher nachweisen

Am häufigsten bewertet wurden Medikamente zur Behandlung von Krebserkrankungen (30 Prozent). "Wir sehen, dass sich bei den Preisen für Onkologika weiterhin wenig verändert. Die Kosten sind extrem hoch und orientieren sich dabei unzureichend am tatsächlichen Nutzen der Wirkstoffe", kommentiert Professor Dr. Wolf-Dieter Ludwig, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft. "Zudem kommen die neuen Arzneimittel häufig viel zu schnell auf den Markt. Das zeigt auch das Beispiel Olaratumab. Zunächst erhielt dieser monoklonale Antikörper zur Behandlung des fortgeschrittenen Weichgewebssarkoms eine bedingte Zulassung, später wurde diese dann wegen fehlender Wirksamkeit widerrufen. Natürlich sollen neue Arzneimittel möglichst schnell für Patienten mit Krebserkrankungen zugänglich sein. Dies setzt aber voraus, dass ihre Wirksamkeit und Sicherheit in klinischen Studien überzeugend nachgewiesen wurden." 

Im Vergleich zum Vorjahr kosten die neuen Arzneimittel wieder mehr. Der durchschnittliche Packungspreis stieg um 25 Prozent auf 1.298 Euro. 2017 gab die TK 167 Millionen Euro für die im Innovationsreport untersuchten Medikamente aus. Drei Präparate liegen im fünfstelligen Bereich. "Auch wenn diese Medikamente nur zwei Prozent der Verordnungen ausmachen, treiben sie die Arzneimittelausgaben extrem in die Höhe", sagt TK-Chef Baas. "Es kommen immer mehr spezialisierte Präparate zu hohen Preisen auf den Markt. Deshalb brauchen wir ein System, das den langfristigen Nutzen von Medikamenten nachweist und gleichzeitig Regeln für eine angemessene Preisgestaltung festlegt."