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Osteoporose und Krebs: Bei Therapie mit Knochenstabilisatoren auf Kiefer achten!

Wirkstoffe zur Knochenstabilisierung, wie Bisphosphona- te (kurz BP, Salze der Phosphorsäure) oder Antikörper, sind aus der modernen Behandlung unterschiedlicher Knochenerkrankungen nicht mehr wegzudenken. Betroffene haben meist fortgeschrittenen Knochenabbau (Osteoporose) oder Knochenmetastasen aufgrund verschiedener Tumorerkrankungen wie Brust- oder Prostata-Krebs, sind durch spontane Frakturen bedroht und leiden häufig unter heftigen Schmerzen. Sie profitieren deshalb erheblich von der Bisphosphonat-Therapie: Der Knochenabbau wird gehemmt und die Patienten gewinnen Lebensqualität zurück. Obwohl Experten Bisphosphonate seit mehr als 30 Jahren einsetzen, wurde erst vor wenigen Jahren eine unerfreuliche Begleitreaktion bekannt: Kieferteilverlust (Kiefernekrose). Denn der medizinische Segen hat eine Schwachstelle im Mundbereich: Die Zähne fungieren als Verbindung von außen in den Knochen, sodass unter bestimmten Umständen Keime in den Kieferknochen eindringen und ihn zerstören können. Die Deutsche Gesellschaft für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie (DGMKG) warnt, dass es bei Therapien mit Bisphosphonaten immer häufiger zu schweren Komplikationen am Kiefer kommt, und erläutert, wie gefährliche Kiefernekrosen in vielen Fällen vermieden werden können.

Wie Bisphosphonate den Knochen stabilisieren

In Deutschland werden weit über eine Million Menschen mit speziellen Präparaten gegen Osteoporose und zur Stabilisierung bei Knochenmetastasen behandelt. Am häufigsten kommen die Wirkstoffe Alendron-, Risedron-, Ibandron- und Zoledronsäure zur Anwendung, die zu den Bisphosphonaten zählen. Darüber hinaus ist seit 2010 die Antikörpertherapie mit Denosumab zugelassen. Die grundsätzlich gut verträglichen Medikamente können Knochenbrüche verhindern und bei Krebspatienten die Knochenzerstörung bremsen, indem sie die Zellen hemmen, die beim gesunden Knochenstoffwechsel für den Knochenabbau zuständig sind, die sogenannten Osteoklasten. Überdies führen sie chemisch zu einer vermehrten Einlagerung von Calcium in den Knochen und damit zur Knochenstabilisierung. Auch ist bekannt, dass durch ihren Einbau im Knochen der Stoffwechsel der Bindegewebszellen beeinflusst und dadurch einerseits ein Wachstum der Tumorzellen im Knochen verhindert und andererseits die durch die bereits existenten Tumorzellen ausgelöste Auflösung des Knochens verringert wird. Deshalb sind Bisphosphonate und vergleichbare Wirkstoffe heute aus der modernen Therapie der fortgeschrittenen Osteoporose oder auch bei Tumoren mit Knochenmetastasen nicht mehr wegzudenken.

Vorsicht vor Kiefernekrose!

Die Kehrseite der Medaille: Die Präparate zur Knochenstabilisierung begünstigen zum Teil gravierende Komplikationen am Oberund Unterkieferknochen bis hin zur schwerwiegenden Zerstörung weitreichender Knochenanteile, sodass Betroffene immer öfter Hilfe beim MKG-Chirurgen suchen. Denn: Die Zähne bilden die Verbindung von außen in den Knochen, sodass über diese „Schwachstelle“ Keime eindringen können. Es beginnt meist mit Schmerzen und Schwellungen, dann können sich Abszesse und Fisteln bilden. Der mit den sogenannten Antiresorptiva behandelte Knochen ist nicht mehr in der Lage, sich zu wehren, er wird infiziert und stirbt ab. In der Folge drohen fortgeleitet Entzündungen im KopfHals-Bereich, Kieferbruch oder sogar -verlust und eine insgesamt schwierige/langwierige Behandlung. Anfänglich können Mundspülungen und Antibiotika den Knochenverfall noch verlangsamen oder arretieren. Dies geht einher mit einer langen Therapiedauer und wird insbesondere bei reduziertem Allgemeinzustand, abhängig von der Grunderkrankung des Patienten, durchgeführt. Im fortgeschrittenen Stadium der Kiefernekrose werden häufig Operationen erforderlich, bei denen abgestorbener Knochen abgetragen werden muss (Dekortikation), was bedauerlicherweise häufig mit dem Verlust von Zähnen und auch mit einer veränderten Weichgewebssituation einhergeht. In sehr schweren Fällen kann es überdies auch notwendig werden, Teile des Kiefers zu entfernen und diese sogar durch ein körpereignes, durchblutetes Knochentransplantat zu ersetzen. Eine neue, bisher noch nicht veröffentlichte Studie1 hat bestätigt, dass in der Therapie der Kiefernekrose ein Stufenkonzept am sinnvollsten ist. Die Entscheidung, welches Konzept bei einzelnen Patienten verfolgt wird, sollte stets interdisziplinär mit den behandelnden Onkologen und auch betreuenden Zahnärzten entschieden werden und an die Prognose der jeweiligen Grunderkrankung angepasst werden. Insgesamt ist eine gründliche Vorbereitung, präoperative Einstellung von Risikofaktoren wie zum Beispiel die Optimierung des HbA1c-Wertes bei Diabetikern und die intraoperative Verwendung von Fluoreszenzlampen zur Reduktion der Rezidivrate empfehlenswert.
Bei ausgeprägten Fällen und stabilem Allgemeinzustand des Patienten sollte auch vor einem freien Transplantat nicht zurückgeschreckt werden, wenn lokale Lappenplastiken nicht den gewünschten Erfolg gebracht haben.

Bisphosphonate und Antikörper – Segen ohne Fluch

Damit es jedoch erst gar nicht dazu kommt, fordert die DGMKG, den Mundraum akribisch untersuchen zu lassen und mögliche Schwachstellen vor dem Therapiebeginn zu beheben. Denn anhand beispielsweise der interdisziplinären S3-Leitlinie der DGMKG kann in vielen Fällen eine Kiefernekrose vermieden werden. Wichtig ist beispielsweise, vor Einnahme der Bisphosphonate oder Antikörper Zysten, krankhafte Zähne und alle Entzündungsherde zu beseitigen. Weitere Risikofaktoren sind Alkohol und Rauchen. Vorsicht ist auch bei schlecht sitzenden Prothesen geboten, die über Druckstellen eine Entzündung des Knochens begünstigen können. Während der gesamten Bisphosphonatoder Antikörpertherapie sollte eine penible Mundhygiene Grundvoraussetzung sein

Zahlen und Fakten

DGMKG-internen Studien zufolge entwickeln bis zu 21 % der Patienten mit Knochenmetastasen, die antiresorptiv ohne MKG-chirurgische-zahnärztliche Vorbehandlung therapiert werden, eine Kiefernekrose. Vor Therapiebeginn sollte daher unbedingt eine Sanierung der Mundhöhle von Infektionen und Keimeintrittspforten durchgeführt werden. Durch eine solche Prophylaxe kann eine Senkung der Kiefernekrosen-Häufigkeit auf wenige Prozente (ca. 2 %) erzielt, den Patienten Schmerzen erspart und Lebensqualität erhalten werden.

1 Arbeitsgruppe des Klinikums rechts der Isar, Technische Universität München, Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer-, Gesichtschirurgie