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COVID-19 verschärft prekäre Informationsversorgung im Gesundheitswesen

Universitätsbibliotheken sind seit der Coronakrise meist nur noch für Studierende und Uni-Beschäftigte nutzbar
Bild: Unsplash / Susan Yin

Alle reden über Digitalisierung – aber wissenschaftliche Institute im Gesundheitswesen sind in der Corona-Pandemie von medizinischem Wissen weitgehend abgeschnitten. Das muss sich schnellstmöglich ändern.

Der Zugang zu medizinischem Wissen ist in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern ungleich schwieriger. Darauf hat das Deutsche Netzwerk Evidenzbasierte Medizin (EbM Netzwerk) Anfang 2020 bereits in einer Online-Petition hingewiesen.

Wenn Einzelpersonen oder Institutionen nicht zu einer Universität gehören, können sie medizinisch-wissenschaftliche Literatur über die Universitätsbibliothek zwar nutzen, allerdings in der Regel nur in den Räumen der Bibliothek. Dies liegt daran, dass die Vereinbarungen der Bibliotheken mit den Verlagen einen Fernzugriff für diese Nutzergruppen meist ausschließt.

Die Abstands- und Kontaktbeschränkungen des öffentlichen Lebens in der Corona-Pandemie haben diesen Weg aber weitestgehend versperrt: Die meisten Bibliotheken haben ihre Lese- und Recherchesäle Mitte März geschlossen. Seitdem ist der Zugang stark eingeschränkt und wissenschaftliche Literatur ist in weiten Teilen nur für Studierende und Beschäftigte der Universitäten verfügbar, für andere Nutzergruppen jedoch nicht. Das betrifft wissenschaftliche Institute oder Vereine aus dem Gesundheitswesen, Ärztinnen und Ärzte, Patientinnen und Patienten und andere im Gesundheitswesen tätige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die nicht an einer Universität beschäftigt sind.

Die Folge: Die Betroffenen müssen jeden Artikel einzeln bezahlen. Bei Nutzung von Literatur-Lieferdiensten wie SUBITO sind die Kosten mit ab 7 € pro Artikel noch recht überschaubar, summieren sich aber gerade für Institutionen. Hinzu kommt, dass SUBITO wegen der Schließung der Bibliotheken über mehrere Wochen nur eingeschränkt verfügbar war. Wenn Fachartikel nicht über Lieferdienste erworben werden können, müssen sie direkt beim Verlag gekauft werden. Die Preise reichen dabei bis zu 100 € pro Artikel. (Zur Klarstellung: Dies betrifft nicht die aktuelle Literatur zu COVID-19, die derzeit größtenteils frei verfügbar ist).

Bei Institutionen im Gesundheitswesen trägt die öffentliche Hand die Kosten, etwa durch Krankenversicherungsbeiträge. Nutznießer sind die Verlage, deren Beitrag zum medizinischen Wissen sich auf die Logistik beschränkt: Denn die Forschungsartikel werden in der Regel durch öffentlich finanzierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler kostenfrei erarbeitet und begutachtet.

Das EbM Netzwerk ruft die politischen Entscheidungsträger auf, die Zugangsschwierigkeiten durch die Corona-Pandemie zum Anlass für grundlegende Reformen bei der Informationsversorgung im Gesundheitswesen zu nehmen. Benötigt wird eine zentrale Lösung, etwa über ein Institut zur Versorgung mit medizinisch-wissenschaftlicher Literatur, das relevanten Nutzergruppen einen unkomplizierten Zugang auf elektronischem Weg zur Verfügung stellt.

Das EbM Netzwerk sieht das Bundesministerium für Gesundheit, das Bundesministerium für Bildung und Forschung und auch die Hochschulrektorenkonferenz in der Pflicht, sich dafür einzusetzen: "Wenn wir als eine Konsequenz aus der Corona-Pandemie über eine stärkere Digitalisierung in der Gesellschaft nachdenken, darf der Zugang zu medizinischem Wissen nicht vergessen werden. Und es ist höchste Zeit: Wir brauchen so bald wie möglich eine tragfähige Lösung."