Dem digitalen Placebo-Effekt auf der Spur
Werden Informationen zum erhofften Effekt einer Gesundheits-App vor ihrer Nutzung mit positiven Rückmeldungen zur Wirkung nach erfolgter Nutzung kombiniert, könnte dies den Placebo-Effekt verstärken. Das zeigt eine randomisiert-kontrollierte Studie, die Forschende der Internationalen Psychoanalytischen Universität (IPU) Berlin, gemeinsam mit Forschenden der Universität Basel und der RWTH Aachen im open access Fachmagazin JMIR mHealth & uHealth heute veröffentlicht haben. Die Ergebnisse bilden eine wichtige Grundlage, um Placebo-Effekte im Rahmen digitaler Gesundheitsanwendungen (DiGA) individuell zu nutzen.
Placebo-Effekte bei Gesundheits-Apps noch weitgehend unerforscht
Während Placebo-Effekte in klassischen Behandlungssettings seit Jahrzehnten untersucht werden, ist der „digitale“ Placebo-Effekt in digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) noch weitgehend unerforscht. Um die Mechanismen des digitalen Placebo-Effekts besser zu verstehen, sind Prof. Dr. Gunther Meinlschmidt, Esther Stalujanis und weitere KollegInnen der IPU Berlin, der Universität Basel und der RWTH Aachen der konkreten Frage im Rahmen einer randomisierten kontrollierten Studie nachgegangen: Wie stabil sind in diesem Kontext Wirksamkeitserwartungen und sind sie veränderbar?
Dabei untersuchten sie die Veränderung der Wirkungserwartung einer für die Untersuchung programmierten Smartphone-App über einen Zeitraum von drei Wochen. Die 132 gesunden Probanden wurden dazu in vier Gruppen aufgeteilt. Der ersten Gruppe wurde vorab mitgeteilt, dass eine Wirkung zu erwarten sei, die zweite bekam erst im Nachhinein an einzelnen Tagen mitgeteilt, dass eine Wirkung der App tatsächlich eingetreten sei. In der dritten Gruppe wurde beides miteinander kombiniert, die vierte Gruppe erhielt keine der beiden Mitteilungen.
Die Ergebnisse zeigen: „Werden Informationen zur Wirksamkeit vor und nach Nutzung von Smartphone-Apps kombiniert, könnten dadurch Wirkungserwartung und auch Glaubwürdigkeit digitaler Gesundheitsanwendungen nachhaltiger werden“, so Meinlschmidt, Professor für Klinische Psychologie an der IPU Berlin und Forschungsleiter der Klinik für Psychosomatik am Universitätsspital und an der Universität Basel. Das könne beispielsweise helfen, weniger PatientInnen zu verlieren, was eine große Herausforderung bei DiGA darstelle.
Aktuelle Bedeutung durch verschreibbare Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA)
Nicht nur der Wirkstoff selbst, sondern auch die Erwartung, dass eine Therapie hilft, können die Wirksamkeit von Behandlungen beeinflussen. Dieses landläufig auch als Placebo-Effekt bekannte Phänomen zeigt sich zum Beispiel bei medikamentösen Therapien von Depressionen, Schmerzen und Parkinson, aber auch bei nicht-medikamentösen Behandlungen, etwa der Psychotherapie. Im Gesundheitskontext macht man sich den Placebo-Effekt in unterschiedlicher Hinsicht zunutze. Während er in klinischen Studien zur Wirksamkeitsüberprüfung einer spezifischen Behandlung möglichst minimiert werden soll, kann es in der klinischen Anwendung eines Medikaments oder auch einer Psychotherapie interessant sein, einen möglichst großen, unterstützenden Placebo-Effekt zu erzielen.
Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) im Bereich psychischer Gesundheit gewinnen zunehmend an Bedeutung, nicht zuletzt in Zeiten der weltweiten COVID-19-Pandemie. Seit Oktober 2020 ist es in Deutschland erstmals möglich, dass Ärztinnen und Ärzte Gesundheits-Apps verschreiben und über die gesetzlichen Krankenversicherungen abrechnen. Erste Beispiele sind Apps zur begleitenden Behandlung von Übergewicht, Tinnitus, Depressionen sowie Angst- und Schlafstörungen. „Der Umgang mit digitalen Placebo-Effekten in Therapiekontexten ist auch aus ethischer Sicht anspruchsvoll“, so Meinlschmidt weiter. Werden die ihm zu Grunde liegenden Mechanismen besser verstanden, könne die Gesundheit der Patientinnen und Patienten gezielter gefördert werden.