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Digitalisierung bedeutet nicht zwangsläufig eine gute medizinische Betreuung

Dr. Brigitte Szaszi, Landesgruppenvorsitzende Baden-Württemberg
Bild: (c) Lopata/axentis

Die Landesgruppe Baden-Württemberg des NAV-Virchow-Bundes sieht die zahlreichen Vorschläge und Gesetzesregelungen von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) als einen Eingriff in die ärztliche Selbstverwaltung. Der Berufsverband der niedergelassenen Ärzte hatte sich Ende September zu seiner regionalen Jahreshauptversammlung in Singen getroffen.

Im Mittelpunkt der Diskussion stand die Forderung vonseiten des Gesundheitsministeriums nach einem Ausbau der Digitalisierung. Nach Ansicht des Gesundheitsministeriums soll die Digitalisierung die medizinische Versorgung der Patienten vereinfachen und verbessern. Daten und Befunde sollen einfacher und zeitnah zwischen Ärzten ausgetauscht und damit beispielsweise Medikamenteninteraktionen oder Doppeluntersuchungen vermieden werden. „Die Digitalisierung wird geradezu frenetisch als Heilsbringer unseres Gesundheitssystems gefeiert“, warnt die Landesgruppenvorsitzende, Dr. Brigitte Szaszi.
Digitalisierung bedeute nicht zwangsläufig eine bessere medizinische Betreuung der Patienten. „Gute Medizin basiert auf einer ausgezeichneten Aus- und Weiterbildung, einer gründlichen Untersuchung, Erfahrungswerten, einer von Empathie getragenen Kommunikation zwischen Arzt und Patient sowie einem Zeit und Aufwand gerecht werdenden Austausch der verschiedenen an der Therapie beteiligten Fachgruppen“, so Szaszi weiter.

Digitalisierung müsse zum Ziel haben, dass mehr Zeit bleibt für das ärztliche Gespräch: „Wir wollen nicht noch mehr Zeit am Computer verbringen.“ Sollte es nicht gelingen, dass modernste Technik Zeit einspart, die dem Gespräch zwischen Arzt und Patient zugutekommt, werde die Frustration für zukünftige Ärztegenerationen weiter steigen, heißt es aus dem NAV-Virchow-Bund.

"Den Menschen als Ganzes erfassen"

„Checklisten, Leitlinien und Standards sind sinnvoll und wichtig, aber Menschen und Diagnosen sind eben nicht immer standardisiert. Es ist oft wichtig, Hintergründe zu kennen oder zu erfragen, den Menschen als Ganzes zu erfassen“, so die Allgemeinmedizinerin Szaszi. Und das geschehe eben nur im direkten Austausch. „Hüten wir uns davor, zu glauben, dass die Digitalisierung das Allheilmittel unseres kranken Gesundheitssystems ist. Die eigentliche Problematik – den Ärztemangel – wird sie nicht lösen.“
Obwohl die Zahl der Ärzte steigt, verschärft sich der Ärztemangel immer weiter. Alle vier Stunden geht laut der Kassenärztlichen Bundesvereinigung rechnerisch ein Arzt verloren. Der Grund: „Immer mehr Ärzte wollen in Teilzeit arbeiten, immer weniger selbstständig sein“, stellt Szaszi fest. Für zwei ausscheidende Ärzte würden drei neue benötigt, um die Versorgung auf dem gleichen Niveau zu halten. „Die aktuellen politischen Tendenzen mit der Befürchtung einer zunehmenden Bürokratisierung schrecken nach unserer Ansicht wieder mehr junge Kollegen vor der Niederlassung ab.“