Zum Inhalt springen

Viren und Bakterien sind nicht nur potenzielle Störenfriede

Prof. Dr. Karin Mölling
Foto: Spillner/DGZMK

Viren und Bakterien sind für viele zunächst einmal nur potenzielle Störenfriede der Gesundheit. Doch dass beide das menschliche Leben überhaupt erst ermöglichen und Bakterien sogar eminent nützlich sind, wenn sie im richtigen Verhältnis vorkommen, mag zunächst überraschen. Der Impulsvortrag der Molekulargenetikerin Prof. Dr. Karin Mölling „Bakteriophagen: Alternative zu Antibiotika - die Phagentherapie“ sowie der Gastvortrag des Zahnmediziners Prof. Dr. Iain L.C. Chapple „Was ist gesund? Der Holobiont Mensch und das biologische Gleichgewicht“ auf dem wissenschaftlichen Kongress zum Deutschen Zahnärztetag Anfang November letzten Jahres räumten mit solchen Vorurteilen jedenfalls gründlich auf.

Die Viren als eine „Supermacht des Lebens“ zu bezeichnen, mag auf den ersten Blick erstaunen. Aber je mehr die gebannten Zuhörer von diesen Mikroorganismen erfuhren, desto größer dürfte ihre Neugier auf dieses Thema geworden sein. Auch hier geht es um Gleichgewichte, Kooperation, Symbiose oder Arbeitsteilung. Wird das Gleichgewicht zerstört, entstehen Krankheiten.

Dass aber Viren möglicherweise die immer größer werdenden Probleme mit Antibiotika lösen können, hätten wohl die wenigsten vermutet. Dabei spielen diese Bakteriophagen eine wichtige Rolle in der Bekämpfung von Bakterienstämmen, auch solche, die gegen Antibiotika bereits resistent geworden sind. Vor allem in Osteuropa wurde diese Therapieform bereits seit Jahrezehnten erfolgreich angewandt. Umso erstaunlicher, dass rechtliche Vorgaben und Regulierungen für Arzneimittel und Medizinprodukte in der westlichen Welt diese Therapie behindern. Und ganz einfach ist sie nicht: für jedes Bakterium muss die spezifische Bakteriophage gefunden werden, aus der ein entsprechendes Präparat entsteht. „Es ist dringend erforderlich, die Verfügbarkeit der Phagentherapien zu beschleunigen“, so Prof. Mölling, die mit vielversprechenden Ergebnissen und Fallstudien aufwarten kann. Ihr lebendiger Vortrag kam beim Auditorium außerordentlich gut an, wie donnernder Applaus am Schluss bewies.

Doppelt so viele bakterielle wie menschliche Zellen

Mit der Rolle der Bakterien und ihres Gleichgewichts speziell bei der Mundgesundheit setzte sich Gastredner Iain Chapple auf humorvolle Weise auseinander. Wir wissen zwar, dass wir Bakterien zum Überleben brauchen, weil wir eben kein rein menschlicher Organismus, sondern zum Funktionieren auf diese Kleinstlebewesen angewiesen sind. Unser Superorganismus verfügt sogar über mehr bakterielle als menschliche Zellen, wie Chapple verriet: „Das Verhältnis ist 2:1 - und zwar die Zahl der Bakterien gegen die Zahl eigener Zellen“.

Speziell setzte sich Chapple mit Bakterien in der Mundhöhle und ihre Rolle bei der Entstehung von Gingivitis und Parodontitis auseinander. In verschiedenen Studien mit meist studentischen „Versuchsobjekten“, zu deren Herausforderung es etwa zählte, 21 Tage die Zähne nicht zu putzen, um entsprechende Biofilme entstehen zu lassen, konnten Chapple und seine wissenschaftlichen Mitstreiter neue Zusammenhänge zwischen „guten“ und „bösen“ Bakterien und deren Gedeihen oder Verschwinden aufzeigen. Auch dass der Zahnstein selbst etwa entzündliche Prozesse auslösen kann, dürfte so manchen Zuhörer überrascht haben. Bakterien können auch eine zerstörerische Reaktion des Immunsystems hervorrufen, was zu Erkrankungen des Gesamtorganismus führen kann. Speziell für die Parodontologie dürfte die weitere Forschung hier auch zu neuen Erkenntnissen über wirksame Therapien bei Entzündungen des Zahnbetts oder des Zahnfleisches führen. Auch Iain Chapple wurde für seinen lebendigen Vortrag mit großem Applaus belohnt.