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Neue Volkskrankheit: MIH hat Karies in bestimmten Altersgruppen schon überholt

Die Frontzähne sind häufig ebenfalls betroffen. Aufgrund der Farbveränderungen und dem Einbruch der Oberfläche ist die deutliche ästhetische Beeinträchtigung erkennbar. Die Kinder leiden auch psychisch mit diesem Aussehen.

Die sog. Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation (MIH) stellt eine neue Volkskrankheit dar. In bestimmten Altersgruppen bei Kindern und Jugendlichen liegt ihr Auftreten höher als das von Karies. Das stellte Prof. Dr. Norbert Krämer, Präsident der DGKiZ (Deutsche Gesellschaft für Kinderzahnmedizin), heute auf einer Pressekonferenz der DGZMK (Deutsche Gesellschaft für Zahn- Mund- und Kieferheilkunde) heraus. MIH bedeutet eine systemisch bedingte Strukturanomalie primär des Zahnschmelzes, die auf eine Mineralisationsstörung zurück zu führen ist. Sie tritt an einem bis zu allen vier ersten bleibenden Molaren auf. Solche "Kreidezähne" sind äußerst schmerzempfindlich und reagieren sehr sensibel auf Hitze, Kälte und Zähneputzen.

Bisphenol A kommt als Weichmacher ursächlich in Frage

MIH hat eine rasante Entwicklung durchlaufen. 1987 wurde die Krankheit erstmals wissenschaftlich beschrieben, heute lässt sich bereits von einer neuen Volkskrankheit sprechen: im Durchschnitt leiden 10 bis 15 Prozent der Kinder an MIH, bei den 12Jährigen liegt die Quote laut DMS V (Deutsche Mundgesundheitsstudie) inzwischen sogar bei über 30 Prozent. Eine wesentliche Rolle bei der Entstehung scheinen Weichmacher aus Kunststoffen zu spielen, die mit der Nahrung aufgenommen werden. Aufgrund von Tierversuchen liess sich ein Zusammenhang zwischen Bisphenol A-Konsum und der Entwicklung von MIH nachweisen. Bei entsprechender Prophylaxe kann drohender Kariesbefall für solche Zähne dennoch abgewendet und deren Erhalt gesichert werden.

Als weitere potenzielle Ursachen für MIH kommen Probleme während der Schwangerschaft, Infektionskrankheiten, Antibiotikagaben, Windpocken, Einflüsse durch Dioxine sowie Erkrankungen der oberen Luftwege in Betracht. Diskutiert wird ein multifaktorielles Geschehen. Dennoch gilt die präzise Ursache wissenschaftlich weiterhin als ungeklärt. Da die Schmelzentwicklung der ersten Molaren und der Inzisivi zwischen dem achten Schwangerschaftsmonat und dem vierten Lebensjahr stattfindet, muss die Störung auch in dieser Zeitspanne auftreten. Jüngste Untersuchungen deuten darauf hin, dass aufgenommenes Bisphenol A bei der Entstehung eine große Rolle spielt.

Schmerzempfindlichkeit lässt Lebensqualität sinken

Häufig weisen bei MIH die bleibenden Frontzähne und zunehmend auch die 2. Milchmolaren Fehlstrukturierungen auf. Klinisch fällt die unterschiedliche Ausprägung der Erkrankung auf. Die Mineralisationsstörung kann sich dabei auf einen einzelnen Höcker beschränken oder aber die gesamte Oberfläche der Zähne betreffen. Die milde Form der MIH zeigt eher weiß-gelbliche oder gelb-braune, unregelmäßige Opazitäten im Bereich der Kauflächen und/oder Höcker. Die schwere Form der Zahnentwicklungsstörung weisen abgesplitterte oder fehlenden Schmelz- und/oder Dentinareale unterschiedlichen Ausmaßes auf. Die betroffenen Patienten klagen über Schmerzen beim Trinken, Essen und Zähneputzen. Dies beeinträchtigt die Lebensqualität der jungen Patienten und erschwert die Behandlung beim Zahnarzt. Dennoch ist in diesen Fällen ein schnelles therapeutisches Eingreifen dringend geboten.

Prävention nicht möglich - Prophylaxe schon

Weil die Veränderungen sich schon während der Zahnentwicklung ereignen und die genauen Ursachen noch nicht geklärt sind, ist eine wirksame Prävention gegen MIH nicht möglich. Dies erklärte Prof. Dr. Stefan Zimmer, Präsident der DGPZM (Deutsche Gesellschaft für Präventivzahnmedizin (DGPZM). Da MIH-Zähne aber eine raue Oberfläche und in der Substanz eine schlechtere Qualität aufweisen, sind sie besonders kariesanfällig. Deshalb muss über das Zähneputzen hinaus eine besonders intensive Prophylaxe betrieben werden, um die Zähne vor Karies zu schützen. Hierfür stehen insbesondere Fluoridierungsmaßnahmen in der häuslichen Umgebung und der Zahnarztpraxis zur Verfügung, die altersbezogen angewandt werden müssen. Regelmäßige Untersuchungen beim Zahnarzt, die Behandlung mit Fluoridlack und der Aufbau der Zähne mit verschiedenen Techniken können dazu beitragen, auch von MIH befallene Zähne bei guter Pflege ein Leben lang zu erhalten.


Bilder: DGZMK/Lopata

Milde Form der MIH. Verfärbungen, die auf den weichen MIH-Schmelz hinweisen, sind auf der Kaufläche des Backenzahnes zu erkennen. Ein wichtiges Charakteristikum des Schmelzes ist die um Faktor 10 reduzierte Härte, so dass mit Karies und Einbruch der Oberfläche unter Kaubelastung gerechnet werden muss.

Dieser Zahn brach unvollständig entwickelt in die Mundhöhle durch. Der Molar war hochgradig kälte- und berührungsempfindlich. Die Beläge auf der Oberfläche geben einen Hinweis darauf, dass selbst das Putzen der Zähne nur unter Schmerzen möglich war. Vor diesem Hintergrund sind die Zähne auch kariesgefährdet. Ebenfalls betroffen von der Erkrankung ist der 2. Milchmolar (rechts im Bild).

Mittel der Wahl zur Versorgung der MIH-Zähne sind Kompositfüllungen. Der Kleber versiegelt effektiv die erkrankte Oberfläche und Komposit gilt als guter Isolator gegen die Noxen. Zusätzlich kann die gesunde Zahnhartsubstanz optimal geschont werden, da das Füllungsmaterial eingeklebt wird. Amalgam ist als Füllungsmaterial für MIH-Zähne kontraindiziert.